Paul Esselborn

Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit meines Gegenübers beginnt.

  • Das Klatschen einer Hand

    Es ist einige Jahre her und ich war auf der Suche nach mir selbst. Ziellos fuhr ich mit meinem Auto Richtung Norden. Als sich die Küste näherte, berührte mich die Hand Gottes und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Vor den Augen Tränenschleier stellte ich Fragen über Fragen nach dem Sinn des Daseins, nach meinem Weg, meiner Aufgabe.


    Alle Fragen wurden beantwortet. Bedauerlicherweise habe ich die genaue Fragestellungen und die göttlichen Antworten vergessen.


    Direkt an der Küste in einem kleinen Dorf namens Gründeich machte ich Rast und bekam in einer bescheidenen Pension ein durchgelegenes Feldbett aus der Zeit vor dem Krieg für die Nacht.


    Die Wirtin fragte mich vor dem Schlafengehen, ob ich am folgenden Morgen an einer Meditation teilnehmen wolle. Zufälligerweise wäre ein tibetischer Lama im Hause, der Anleitungen geben könnte. Mein Schweigen deutete sie als Interesse, nahm mich bei der Hand und zeigte mir den im Spitzdach  gelegenen Meditationsraum. Die Fenster im Giebel tauchten den Raum in ein angenehmes Licht und ich sagte spontan zu, obwohl ich keine Ahnung von Meditation hatte.


    Die Frau vom Gründeich weckte mich rechtzeitig. Nach dem Duschen suchte ich den Meditationsraum auf und setzte mich mit dem Rücken zum Giebel auf das mittlere von drei Meditationskissen, die vor Kopf  lagen. Voller Freude, etwas Neues lernen zu können und darüber, dass die elende Heulerei vorbei war und Gott mich in Ruhe ließ, schloss ich meine Augen. Zwei Reihen Kissen zu meiner rechten und linken Hand besetzten nacheinander Männer und Frauen, denen ich freundlich zunickte und ein Lächeln schenkte. Man grüßte zurück. Ich war auf den Lama gespannt und nahm mir vor, ihn auf die Probe zu stellen. Aber vorerst war ich damit beschäftigt, wichtig auszusehen und die Augen genau dann zu öffnen, wenn sich jemand hinsetzte. Nicken, Lächeln und die Lider wieder runter. 


    Als der Lama den Raum betrat, schaute ich ihn mir genau an. Die anderen waren schon in Meditation versunken. Er war in meinem Alter, trug eine purpurne Mönchskutte und Sandalen. Sein Kopf war kahl rasiert. Die Wirtin hatte ihm gesagt, dass ich ein Neuling wäre und angeleitet werden müsste. Im Lotus setzte er sich neben mich und schmunzelte. Ich solle mich auf die Stirnmitte konzentrieren, den Rücken gerade halten und bewegungslos sitzen. Seine Haut war dunkler als meine. Ich bin halt ein Weißbrot, sagte ich zu mir ein wenig neidisch. Obwohl ich versuchte, mich zu fokussieren, lenkten meine Gedanken mich ab. 


    Auch die Frau neben mir. Doch ich wollte nicht aufgeben. „So ein junger Spund“, dachte ich, „Dir werd` ich`s zeigen!“ 

    Stillsitzen habe ich in der Schule gelernt, den Rücken gerade halten konnte ich schon immer und das bisschen aufs dritte Auge konzentrieren wird nicht schwer sein.


    Nach kurzer Zeit wurde mir langweilig und ich erinnerte mich an meine Absicht, die Qualität des Lehrers zu testen. In meiner Vorstellung ließ ich mir einen dritten Arm und eine Hand wachsen. Genüsslich lutschte ich den Zeigefinger an. Langsam bewegte ich meine virtuelle Hand Richtung Lama. Den feuchten Finger steckte ich ihm ins Ohr.


    Plötzlich wehte mein Gesicht etwas an und ich spürte eine furchtbare Ohrfeige auf meiner linken Wange. Das Klatschen machte mich ganz taub. Panisch riss ich die Augen auf. Alle saßen auf ihren Plätzen. Auch der Lama. Vielleicht grinste er?


    Nie habe ich mein Erlebnis angesprochen und ihn kein Mal danach gefragt. Irgendwie war ja auch alles klar. Er hatte den Test bestanden.  Ich war noch öfter in  Gründeich. Meistens machte ich die Morgensternmeditation, die ich an dem Morgen mir selber beibrachte. Bei dieser Meditation hatte ich vier Arme und vier Hände und in jeder Hand hielt ich an kurzer Kette einen Morgenstern, den ich mit rasender Geschwindigkeit vorne und hinten, oben und unten wirbelte. Die eigene Sicherheit steht halt an erster Stelle.


    Im Nachhinein glaube ich, dass mein Lama Gott so nahe war, dass ich auf dem Weg zur Küste in seinen Fluss geriet. Ich ähnelte eher einem kleinen Rinnsal. Kein Wunder, dass ich überschwemmte.


    Einige Jahre später beschäftigte ich mich mit Zen und amüsierte mich darüber, dass ich gleich bei der ersten Meditation das Klatschen einer Hand gehört hatte.


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